24. Februar 2023  |  Autor: André Nimtz  |  Lesezeit: ca. 8 Minuten

Die Herausforderung: höchste Flexibilität in der Prozessindustrie

Was für die diskrete Fertigung die „Losgröße 1“ ist, das ist für die Prozessindustrie die möglichst flexible und effiziente Umsetzung von individuellen Kundenanforderungen. Kleine Batches, kurze Lieferzeiten, hohe Varianz und kürzeste Times to Market sind die Gebote der Stunde. Der Schlüssel dazu liegt in der modularen Produktion: Aus relativ starren und auf langjährigen Betrieb ausgelegten Anlagen werden zunehmend modulare Anlagen, deren Module – im Fach-Jargon Process Equipment Assembly (PEA) genannt – sich je nach Produktionsgut beliebig austauschen und neu zusammenstellen lassen – lokal oder auch standortübergreifend.

Doch ein wesentliches Problem bleibt: die flexible, im Bestfall automatisierte Steuerung der modularen Anlagen. Sprechen alle Module unterschiedliche Sprachen, dann haben die Ingenieure noch immer alle Hände voll zu tun, die Daten auszulesen und im Prozess Orchestration Layer (POL) zu einem funktionalen Gesamtbild zu verknüpfen. Ein einheitlicher Schnittstellenstandard soll hier Abhilfe schaffen: das Module Type Package (MTP).

 

Ein Techniker prüft die Produktionsanlage

 

Die Lösung: Module Type Package (MTP) als vereinheitlichender Standard

Was genau bedeutet Module Type Package? MTP ist ein nicht-proprietärer Schnittstellenstandard, der es Herstellern ermöglicht, die komplette funktionale Beschreibung eines PEA auf dem Anlagen-Modul selbst zu hinterlegen. Hierin enthalten sind die Beschreibung der Datenobjekte, die Visualisierung und weitere Informationen zum Beispiel zu Alarmen.

In der Praxis bedeutet das: Sie stecken das neue Modul einfach an Ihre bestehende Anlage an und lesen die Daten des Module Type Package in Ihrem Process Orchestration Layer aus. Das MTP funktioniert wie ein Treiber für das neue Modul. Für Ihre Ingenieure entfällt aufwändiges Plant Engineering, denn die neuen Module werden nahtlos und ohne großen Aufwand in die bestehende Anlage integriert. Daher bezeichnet die Industrie diese Herangehensweise auch als “Plug-and-Produce”.

Glossar

MTP (Module Type Package)

XML-Datei im Automation-Markup-Language-Format (AML), die herstellerseitig auf dem Anlagenmodul abgelegt wird und alle Funktionen sowie die Visualisierung des Moduls im POL beschreibt.

PEA (Process Equipment Assembly)

Anlagen-Modul, das eine bestimmte Funktion erfüllt, z.B. eine Pumpe oder ein Separator. Einzelne PEAs können zu beliebig komplexen Anlagen verknüpft werden.

POL (Process Orchestration Layer)

Steuerungsebene der Anlage, in der die MTPs eingelesen, interpretiert, verbunden und visualisiert werden.

Plug-and-Produce

beschreibt den Ansatz, dass MTP-fähige Module nur noch in eine bestehende Anlage “eingestöpselt” oder zu einer neuen Anlage “zusammengesteckt” werden müssen und daraufhin die Produktion ohne weitere Aufwände beginnen kann. Zumindest erspart MTP aufwändiges Engineering, aber ein echtes Plug-and-Produce wird erst mit einer vollumfänglichen Automatisierung möglich.

IIoT-Plattform

zumeist als Software-as-a-Service bereitgestellte Suite an industriellen Funktionen, die für die Datenerfassung, die Automatisierung, die Konnektivität, die Datenauswertung, für Predictive Maintenance etc. genutzt werden kann. Im Bestfall ersetzt sie alle Insellösungen eines Unternehmens und interagiert mit übergeordneten Systemen wie ERP oder MES.


 

Die Vorteile von Module Type Package (MTP) für Anlagenbetreiber

Module Type Package bringt enorme Potenziale mit sich – für Modulhersteller, für Systemintegratoren und vor allem für Sie als Anlagenbetreiber. Wir stellen Ihnen einige Vorteile vor.

Module Type Package (MTP) ermöglicht einfach nutzbare Module

Vorteil #1

einmaliges Module Engineering, wiederverwendbare Module

Anstatt jedem Anlagenteil bei jedem neuen Auftrag zu erklären, was seine Funktion ist und über welche Schnittstelle es kommunizieren muss, erfolgt das Module Engineering initial durch den Hersteller. Schnittstellen und Logik des Prozesses werden einmalig definiert und eine Visualisierung festgelegt. Das alles wird ins Module Type Package geschrieben. Das Modul hat damit seine definierten Funktionen und Grenzen. Es kann jederzeit schnell und flexibel eingesetzt werden.

Kosten senken mit Module Type Package

Vorteil #2

weniger Kosten dank Module Type Package

Mit MTP sparen Sie Kosten fürs Engineering. Dank Plug-and-Produce ist es nicht mehr nötig, neue Module an den Prozess anzupassen. Sie kaufen vom Modulhersteller genau das Modul, das Sie für Ihre Produktion benötigen, inklusive des vordefinierten Module Type Packages. Auch die Engineering-Zeiten und -Kosten beim Plant Engineering, also der Einrichtung der eigentlichen Anlage, werden spürbar reduziert. Es genügen wenige Klicks, um das MTP anzubinden.

Flexibilität erhöhen

Vorteil #3

MTP erhöht Ihre Flexibilität spürbar

Mehrprodukt- und Mehrzweckanlagen profitieren stark von der Modularisierung. Da dank Module Type Package Programmieraufwände an Modul und Schnittstelle entfallen und neue Anlagen im Handumdrehen im Process Orchestration Layer aufgebaut werden können, ist es Anlagenbetreibern möglich, ihre Anlagen schnell und auch kurzfristig umzubauen. Nahezu jede beliebige Prozessstrecke ist in kürzester Zeit realisierbar. MTP ermöglicht es, besonders flexibel auf Marktanforderungen zu reagieren.

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Praxisbeispiel: Module Type Package meets IIoT-Plattform – MTP weiter gedacht

Per Module Type Package einzelne PEAs einfach in eine IIoT-Plattform einlesen

Das Module Type Package ist ein wichtiger Treiber der modularen Produktion und ebenso der Ausgangspunkt für die Automatisierung der Prozessindustrie. Dabei darf aber die Bedeutung des Process Orchestration Layer nicht vernachlässigt werden. Er ist ebenso wichtig wie eine vereinheitlichte Modulsprache, denn er verarbeitet den Informationsfluss, liefert die Mensch-Maschine-Schnittstelle und übernimmt wesentliche Funktionen wie zum Beispiel die Rezeptsteuerung. In der Praxis sind individuelle Lösungen ebenso anzutreffen wie vorgefertigte Plattformen zur Prozesskontrolle.

Eine weitere Option findet sich in IIoT-Plattformen wie ThingWorx, die gleich mehrere Vorteile mit sich bringen:

  • Sie erweitern Ihr POL um eine Plattform, die für mehr als nur den Produktionsprozess genutzt werden kann.
  • Sie können weiterführende Auswertungs- und Verwaltungsfunktionen innerhalb der Plattform umsetzen.
  • Sie erreichen einen höheren Automatisierungsgrad.

Für und mit unserem Kunden Evonik haben wir dieses Szenario bereits in einem Pilotprojekt umgesetzt. ThingWorx ist bei Evonik als DataHub im Einsatz, der um die Funktionalitäten eines POL erweitert wurde, und etabliert sich als dezentrale Automatisierungsplattform. Dadurch eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten zur Prozess-Optimierung und -Automatisierung:

  • Automatisierung des Imports von Module Type Packages in die Anlage und auch deren Löschung
  • automatisierte Verbindungsherstellung über OPC UA
  • Herstellung einer Kommunikationsverbindung zwischen den Modulen
  • übergreifende Visualisierung bzw. Kontrolle über die Visualisierungen unterschiedlicher MTPs

Die eingesetzte ThingWorx-POL-Lösung kann MTPs verschiedenster Hersteller interpretieren und liefert dem Anwender einen einheitlichen Process Orchestration Layer, der für zahlreiche weiterführende Use Cases offen ist. Mehr zu dieser Lösung auf ThingWorx-Basis lesen Sie unter diesem Link.

Fazit

Das Module Type Package ist ein elementarer Baustein für moderne produzierende Unternehmen aus Bereichen wie Chemie, Pharmazie oder Lebensmittelverarbeitung. Einzelne Module bzw. PEAs, die schnell und flexibel zu komplexen Anlagen kombiniert werden können, bilden die Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit von morgen. Sprechen diese PEAs zudem die gleiche Sprache, nämlich MTP, dann geht die Einrichtung und Verwaltung ganzer Anlagen mit deutlich weniger Kosten- und Zeitaufwänden von der Hand. Besonders spannend wird es dann, wenn die Prozesssteuerung in den Händen einer IIoT-Plattform wie ThingWorx liegt. Dadurch eröffnen sich für Sie zusätzliche Möglichkeiten der Automatisierung, Prozessorchestrierung und auch der Auswertung von Daten.

Prozesse orchestrieren und automatisieren mit ThingWorx POL

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Interview mit Sebastian Härtner: MTP in der Praxis

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Wie ist der Status-quo von MTP und welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein? Darüber haben wir mit Dr. Sebastian Härtner von Merck gesprochen.

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