6. April 2023  |  Lesezeit: ca. 6 Minuten  |  Zuerst erschienen bei Process unter diesem Link.

Das Interview wurde geführt von Christin Senftleben.

Als erstes Unternehmen realisierte das Chemie-und Pharmaunternehmen Merck auf Basis von Modul Type Package – MTP – ein modulares Automatisierungskonzept im Laborumfeld. Das Unternehmen erschloss dadurch einen Bereich, der auf den ersten Blick nicht im Fokus der MTP-Technologie steht. Warum Dr. Sebastian Härtner vom Process Development und Principal Project Lead im Bereich Electronics, Integrated Supply Chain 2022 als entscheidendes Jahr für den Durchbruch von MTP sieht.

Dr. Sebastian Härtner von Merck spricht mit uns über MTP
Dr. Sebastian Härtner, Merck


 

Merck ist ein sehr aktiver Unterstützer von MTP. In den vergangenen Jahren haben Sie den Austausch stetig vorangetrieben. Warum?

Sebastian Härtner: Der Markt bedingt, dass wir schneller und flexibler unterwegs sein wollen und müssen. Das verspüren wir alle in der Branche. Bei Merck sind wir offen für das Thema MTP und wollen mit anderen darüber reden. Wir wollen das Themengebiet gemeinsam vorantreiben, weil wir sehen, dass nicht die vorhandene Hardware allein ausschlaggebend für den Erfolg ist, sondern das Know-how um den Prozess, der auf solchen Systemen gefahren wird. Dementsprechend ist es möglich, einen intensiven und sehr konkreten Austausch über Hardware zu führen, um durch Standardisierung die Technologie schneller verfügbar zu machen. Diesen Austausch führen wir gerade mit verschiedensten Firmen in Deutschland und Europa.

Sie sprechen davon, dass 2022 das Jahr des Durchbruchs für MTP war. Was hat sich geändert?

Härtner: Wir haben spätestens auf der Achema und der SPS 2022 gesehen, dass Firmen jetzt Produkte anbieten, die genau diese Technologie ermöglichen und dadurch für uns nutzbar machen. Also das heißt, wir haben Leitsysteme auf dem Markt, die wir kommerziell kaufen können.
Der MTP-Standard selbst ist final noch nicht fertig. Aber mit den Standardisierungen, die jetzt von Blatt 1 bis Blatt 4 da sind, können wir tatsächlich arbeiten. Deshalb war 2022 ein entscheidendes Jahr. Wir werden noch viele Sachen in der MTP-Community lernen, aber der Durchbruch ist da.

"MTP funktioniert aber nur, wenn wir interne Prozesse hinterfragen und – wenn notwendig – auch aufgeben. Technologie und Mindset sind ein Gesamtpaket. Alle Personen in dem Umfeld müssen abgeholt werden und verstehen, warum und wie wir es umsetzen."

Dr. Sebastian Härtner, Merck

Welchen wirtschaftlichen Nutzen bringt MTP Ihrem Unternehmen?

Härtner: Für Merck besteht der Nutzen im schnellen Scale-up. Mit dem System, in dem wir entwickelt haben, werden wir auch produzieren. Das ist eine Geschwindigkeit, die wir brauchen.

Hier haben wir eine riesige Chance, weil das System gleich bleibt. Es wird vom Laborumfeld einfach nur in die Produktion geschoben. Dadurch ist kein Einfluss auf die Produktqualität zu erwarten. Der Roll-out von Herstellungsverfahren in modularen Anlagen ist der bedeutendste Hebel für das Erste. In der Zukunft werden Energieeffizienz und eine nachhaltige Anlagennutzung, die durch MTP ermöglicht werden, ein großes Thema für uns sein.

Wie bereits erwähnt, lassen sich mit MTP Prozesse und Anwendungen nahtlos von der Entwicklung in die Produktion überführen. Wie beeinflusst dieses innovative Konzept die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen?

Härtner: Mit MTP erhalten wir mehr Flexibilität bei der sinnvollen Beschreibung und Gestaltung von Prozessen. MTP funktioniert aber nur, wenn wir interne Prozesse hinterfragen und – wenn notwendig – auch aufgeben. Technologie und Mindset sind ein Gesamtpaket. Alle Personen in dem Umfeld müssen abgeholt werden und verstehen, warum und wie wir es umsetzen.

Im Gegensatz zum herkömmlichen Prozess muss die Abteilung Verfahrenstechnik viel früher mit der Automatisation zusammenarbeiten. Der Bau solcher Systeme und Module bedingt eine gemeinsame Definition von dem, was genau das Modul am Ende können muss. Da MTP der Treiber der Module ist, muss das jetzt frühzeitiger festgelegt werden. Das ist eine komplett andere Art und Weise des Vorgehens.

MTP bedingt also eine neue Form der Arbeitsorganisation?

Härtner: Ja. Das Hauptthema ist, dass wir die Experten brauchen, vor allem auf dem Automationslevel. Wir benötigen eine Art von Mittler, der die alte Welt in die neue übersetzen kann. Das reine Programmieren ist ja das eine. Noch schwieriger ist es zu beschreiben, wie der Treiber funktionieren soll und das wiederum von der Verfahrenstechnik in die Automatisierungstechnik zu überführen und das System aufzusetzen. Die Experten dafür sind im Moment rar. Da wir uns jedoch frühzeitig mit dem Thema MTP beschäftigt haben, konnten wir intern Experten auf diesem Gebiet aufbauen.

Einer unserer effektivsten Hebel beim Thema MTP ist die enge Zusammenarbeit von Verfahrenstechnikern, Labor, Werkstatt und Automatisierungsexperten, die bei uns alle in einer Abteilung zusammenarbeiten. Aufgrund dieser Nähe sind auch die Kommunikationsbarrieren extrem gering. Weil wir eben nicht an Abteilungsgrenzen stoßen und uns mit Schriftstücken gegenseitig beschreiben müssen, was wir machen wollen. Hier gibt es tatsächlich ein bilaterales gemeinsames Erarbeiten. Das ist eine andere Welt und diese hat, so glaube ich, dazu geführt, dass wir sehr erfolgreich bei dem Thema sind.

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Mit der Einführung eines Automatisierungskonzepts im Laborumfeld hat Merck einen ersten großen Meilenstein erreicht. Wann werden die ersten MTP-basierten Module bei Merck in der Produktion eingesetzt?

Härtner: Wir haben für das Laborumfeld schon über 100 Module gebaut und betreiben diese. Aus den Erfahrungen leiten wir nun die Anforderungen für die Produktionsmodule ab und müssen zusätzliche Anforderungen aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz erfüllen. All dies werden wir voraussichtlich, nach Vorliegen der Genehmigung durch das Regierungspräsidium, noch Ende 2023 in der Produktion in Darmstadt realisieren.

Wie wird sich MTP weltweit auswirken?

Härtner: Über die Biophorum Organisation wird für die biopharmazeutische Industrie an der Nutzung des MTP Standards gearbeitet, um firmenübergreifend einen Standard zu verwenden, damit die Herausforderungen der Zukunft (Time-to-Market, Effizienz) einfacher bewältigt werden können.
Die Verwendung des Standards (VDI-2658) außerhalb der chemischen Prozessindustrie, zum Beispiel im Schiffsbau, wird seinen zusätzlichen Beitrag leisten, dass diese neue Automationstechnologie weltweit Anwendung findet.

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